Einschätzung Brasiliens hinsichtlich der MDG

Minister Marcelo Neri zieht hinsichtlich der MDG Bilanz, und spricht über die Gewinne der Entwicklung zum Post-2015 im Lande

Leila Marco

14.07.2014 | Montag | 16:24 Uhr | Aktualisiert am 22.09. um 16:08 Uhr (Uhrzeit Brasília)

Der Minister für Strategische Fragen der Präsidentschaft der Republik (SAE/PR), Marcelo Cortês Neri*, empfing in Rio de Janeiro/RJ das Team des Supernetzwerks des Guten Willen für Kommunikation (Radio, TV, Portal und Veröffentlichungen) zu einem Gespräch. Der an der Universität Princeton, USA promovierte Wirtschaftswissenschaftler und Master, sowie Bachelor für Wirtschaft an der Pontifícia Universidade Católica, der katholischen Universität in Rio de Janeiro (PUC-Rio), zeichnete sich bei seinen Studien zu den Veränderungen aus, die die brasilianische Wirtschaft in den letzten zwei Jahrzehnten durchlaufen hatte, angefangen bei der Reduzierung der Armut bis zum Aufkommen einer neuen Mittelklasse, die aufgrund wirtschaftlicher Stabilität, von sozialen Programmen und wegen der Anpassung des Mindestlohns geschaffen wurde. Er war Gründer des Zentrums für Sozialpolitik (CPS/FGV) und Vorsitzender des Instituts für Angewandte Wirtschaftliche Forschung (IPEA), ein Organ, das an die SAE angeschlossen ist. Seine hauptsächlichen Forschungsgebiete sind: Sozialpolitik, Erziehung und Mikroökonometrie.

Im nachfolgenden Gespräch spricht der Minister über die Resultate des 5. Nachbereitenden Nationalen Berichts der Millennium-Entwicklungsziele, der am 23. Mai diesen Jahres, mit aktualisierten Zahlen zur Situation der MDGs in den verschiedenen Regionen Brasiliens veröffentlicht wurde. Darüber hinaus kommentiert er einige der repräsentativsten Zahlen dieses Dokuments, wobei er aufzeigt, dass es im Verlauf der letzten Jahre zu einer kontinuierlichen Verbesserung der sozialen Indikatoren gekommen ist.

GUTER WILLE – Auf welche Weise haben die MDGs die Planung von Regierung und der Zivilgesellschaft unterstützt?

Marcelo Neri – Die Millennium-Entwicklungsziele wurden von den Vereinten Nationen im Jahr 2000 festgelegt. Brasilien ist eines von 190 Unterzeichnerländern. Hier in unserem Land, sei dies nun aus Sicht der Gesellschaft, der Bevölkerung, oder aus der Sicht der Regierungen, haben diese Ziele ein großes Echo gefunden und waren für eine Verbesserung der sozialen Indikatoren verantwortlich. Wenn wir den Zeitraum seit Beginn der Ziele, auf dem Gipfel des Jahres 2000 vergleichen, so steht dieser in der Tat für einen Zeitraum beschleunigter Verbesserung bei den sozialen Indikatoren in Brasilien.

GW – Hat sich die Zivilgesellschaft bei der Erfüllung dieser Ziele mit eingebracht?

Marcelo Neri – Ich denke schon. Meiner Meinung nach stellt Brasilien einen besonderen Fall dar, aufgrund des von ihm gegangenen Weges, zu wachsen und gleichzeitig Ungleichheiten zu reduzieren. Brasilien ist eines der wenigen Länder, die dies auf diese Weise tun. Normalerweise fällt die Wahl auf das eine oder das andere. Brasilien aber, macht ein wenig von beidem. Beispielsweise besagt das erste Millenniumsziel, die extreme Armut auf die Hälfte zu reduzieren und Brasilien hat diese in zehn Jahren um 69% verringert – wir haben in zehn Jahren mehr gemacht, als vorgesehen war in 25 Jahren zu tun – und dies erklärt sich durch das Wachstum und durch die Verringerung von Ungleichheit. Aber mehr noch hat Brasilien gesagt, als es das Ziel einer Verringerung auf die Hälfte annahm: „Wir werden um 100% reduzieren.“ Diese brasilianische Bewegung wird von anderen Ländern, durch die Vereinten Nationen genau beobachtet… Von daher haben sich Bevölkerung und Regierung eingebunden.

GW – Brasilien hat auch das Ziel erreicht, die Zahlen bei der Kindersterblichkeit von Kindern bis zu 5 Jahren zu reduzieren. Im Jahr 1990 lagen diese bei 53,7 Todesfällen auf 1000 Lebendgeborenen, und im Jahre 2011 schließlich, bei 17,7. Was sind die nächsten Schritte?

Marcelo Neri – Eine Nation, die als das „Land der Zukunft“ bekannt war, in der aber ein großer Teil der Kinder starb, bevor sie 5 Jahre alt wurden. In der Tat, es gab keine Zukunft für dich. Natürlich ist, in den ersten fünf Lebensjahren zu sterben, zu wenig. Man muss sich eine andere Agenda überlegen, eine, die nicht nur die Rechte privilegiert und in der man überlegt, wie man negative Situationen vermeidet, sondern die auch positive Rechte fördert, will heißen, dass die Kinder ein Recht darauf haben zu spielen, sich zu entwickeln, stimuliert zu werden usw. Brasilien befindet sich auf diesem Weg.

GW – Dasselbe gilt für die MDG7, die Nachhaltigkeit der Umwelt zu garantieren, was das Ziel mit einschließt, den Teil der Bevölkerung ohne Zugang zu Trinkwasser und Kanalisation auf die Hälfte zu verringern, und dies in seiner Gesamtheit im Jahr 2012 zu erzielen. Was hat dies bedeutet?

Marcelo Neri – Es existiert eine gewisse Relation zwischen Kindersterblichkeit und, hauptsächlich, Zugang zu sanitären Einrichtungen. Ich gebe zu, dass selbst bei diesem Ziel ich mich überrascht habe, denn Brasilien war hierbei schneller als erwartet. Hinsichtlich des Zugangs zu Wasser waren wir bereits gut versorgt. (…) Ich sehe, dass die brasilianische Gesellschaft auf das Fehlen von sanitären Einrichtungen aufmerksam wird. Will heißen, das Fehlen von Wasser und Licht sind Dinge, die ein jeder selbst bei sich zu Hause bemerkt. Neu ist, das Fehlen von Kanalisation; die Menschen wissen nicht so recht, ob ihr Haus nun an die Kanalisation angeschlossen ist oder nicht, ob das Abwasser aufbereitet wird, oder nicht. Diese Veränderung der Mentalität bedeutet einen Sieg, es ist das Resultat eines neuen Symbols. Die Stiftung Getúlio Vargas hat einige Studien zum Mangel an sanitären Anlagen durchgeführt; dies ist ein Anfang, aber es fehlt noch an so vielem in Brasilien, denn das Abwasser muss aufbereitet werden. Es ist aber normal zuerst bestimmte Ziele zu verfolgen und danach andere, ehrgeizigere anzugehen.

GW – Hinsichtlich der Umwelt, was hat das Land getan, um den Ausstoß von umweltschädlichen Gasen zu verringern?

Marcelo Neri – Brasilien hat begonnen sich dieser Sache auf eine mehr institutionelle Weise zu nähern, angefangen bei der Rio-92. Wir befinden uns gerade zwischen dem Abschluss der Millennium-Entwicklungsziele, den MDGs, und der Ausarbeitung der Nachhaltigen Entwicklungszielen, der SDGs, die auf der Rio+20 diskutiert wurden und eine Kombination von inklusiver und nachhaltiger Entwicklung darstellen. Also befinden wir uns gerade auf der Suche, über das wirtschaftliche und soziale hinaus zu gehen, und gleichzeitig die Umwelt mit einzubeziehen. Dies ist eine Angelegenheit, die die brasilianische Gesellschaft mobilisiert. Von 2004 bis 2010 wurde die Zerstörung des Waldes um 75% verringert. Man muss allerdings auch sagen, dass, im Vergleich zur Frage der Ungleichheit, die der Umwelt noch immer sehr schlecht da steht. Das Bild stellt sich heute zwar wesentlich besser dar, als noch vor zwanzig Jahren, man darf sich aber nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Es werden die neuen Ziele kommen, die gerade diskutiert werden und bei diesen neuen Zielen wird Brasilien eine wichtige Rolle einnehmen.

GW – Was ist die Rolle der Programme zum Einkommenstransfer bei der Verwirklichung öffentlicher Politik?

Marcelo Neri – Das Sozialfürsorgeprogramm „Bolsa Familia“ spielt hierbei eine wichtige Rolle, aber Hauptakteur ist hierbei der Arbeitsmarkt, der für eine 55%ige Verringerung von Ungleichheit und für drei Viertel bei der Erhöhung des Einkommens der Menschen verantwortlich ist. Das Programm „Bolsa Familia“ andererseits, ist für die Verringerung der Ungleichheit von ungefähr 12% verantwortlich. Die Kosten dieses Programms sind äußerst gering, sie stellen nur ein halbes Prozent des Bruttoinlandsprodukts dar, erreichen aber fast ein Viertel der Bevölkerung. In der Tat ist Brasilien nicht nur gewachsen und hat die Ungleichheit reduziert, es hat dies auch erreicht, ausgehend von einer Erhöhung des Lohneinkommens; was wichtig ist, weil nachhaltig. Brasilien beerbt die Bildungspolitik, die in den letzten Jahren im Land durchgeführt wird, mit Verbesserungen in der Qualität des Unterrichts und kann gleichfalls auf Programme wie „Bolsa Familia“ oder die Sozialversicherung für Landarbeiter zählen. (…) Brasilien hat sich also auch diversifiziert, es hat nicht alle Eier in denselben Korb, sprich: dieselbe Politik gelegt.

GW – Grundlegende Bildung mit Qualität für alle zu bieten, ist eines der wichtigsten MDGs. Dem Land stehen weiterhin große Herausforderungen entgegen…

Marcelo Neri – Hinsichtlich der Grundbildung, steht Brasilien vor der Herausforderung zur Qualität. 98% der Kinder zwischen 7 und 14 Jahren befinden sich, wie der Bericht zeigt, bereits in der Schule. Was noch fehlt, ist den Unterricht der Schülerinnen und Schüler an den weiterführenden Ganztagsschulen [und deren Zahl] zu verbessern. Es gibt aber bereits Strategien, die in diese Richtung zielen. Eine große Herausforderung stellt auch die Erziehung für die erste Kindheit dar – Kinderkrippen und Maßnahmen dieser Art – ebenso für den mittleren Bildungsweg. Die gute Nachricht aber ist, dass Brasilien vorwärts schreitet; wir haben beispielsweise die direkten öffentlichen Investitionen für Bildung und Erziehung in den Jahren 2000 bis 2004, von 3,9% auf 5,5% des Bruttoinlandsproduktes erhöht. Der Kongress hat gerade eben den Nationalen Plan für Bildung genehmigt. Auch haben wir bereits Qualitätsmaßstäbe, wie beispielsweise die Brasilienprüfung, des IDEB, welche den Entwicklungsindex für die Grundbildung darstellt. 

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*Marcelo Neri promovierte in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Princeton, USA und ist Professor der Stiftung Getúlio Vargas (FGV) und Gründer des Zentrums für Sozialpolitik an der FGV.

Übersetzung: Thomas Hempfing
Revision: Mônica Moraes